Film als Forschungsmethode

Die Idee, den Film als Medium der Forschung zu nutzen, ist so alt wie der Film selbst. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts zeichneten wissenschaftliche Filme Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen auf. Mit Rückgriff auf den Avantgardefilm, der das Medium Film selbstreflexiv erforscht, wurden in jüngster Zeit Forschungsans?tze entwickelt, die sich im Grenzbereich von Wissenschaft und Kunst bewegen. Diese erreichen auf Festivals und im Kunstkontext ein gro?es Publikum.

Siegfried Kracauer (1969) hat insbesondere die Geschichtsschreibung und parallel dazu den Film in diesem Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft verortet und dabei sowohl den Zusammenhang von ?sthetik und Wissenschaftsproduktion herausgestellt als auch die Medialit?t von Geschichte betont. Filmemacher*innen haben wiederum in Kooperation mit Historiker*innen Formen filmischer Geschichtsschreibung erprobt.

In der Filmwissenschaft hat sich das Genre ?Video-Essay“ als kleine Form etabliert, die die klassisch schreibende T?tigkeit audiovisuell erweitert und an Formen des Essayfilms anknüpft. Diese und ?hnliche Ans?tze zielen auf eine ?sthetisierung von Wissenschaft, auf eine Kritik wissenschaftlich-medialer Beobachtung und auf eine Diversifizierung von textbasierter Erkenntnisproduktion.

Das 22. Internationale Bremer Symposium zum Film l?dt zum interdisziplin?ren Austausch über historische und aktuelle Ans?tze von Film als Forschungsmethode ein und gemeinsam auszuloten, wie mit Film forschend gearbeitet werden kann. Die Konferenz setzt sich aus Vortr?gen, Diskussionen, Filmvorführungen und Gespr?chen zusammen und wird vom 3. – 7. Mai 2017 im CITY 46 / Kommunalkino Bremen stattfinden. Mit dieser Mischung aus Forschung und Filmkultur wendet sich die Konferenz sowohl an Fachbesucher*innen als auch an das Kinopublikum.

Flankiert werden die Vortr?ge, Gespr?che und Diskussionen durch ein umfangreiches Filmprogramm, das ein Kaleidoskop an filmischen Forschungsans?tzen aus aller Welt zeigt – vom Beginn der Filmgeschichte bis in die Gegenwart, in verschiedenen Formen, experimentell, dokumentarisch und fiktional.

Im Stummfilm Der Mann mit der Kamera (UdSSR 1929, mit Livemusik-Begleitung von Eunice Martins) untersucht der russische Filmemacher Dziga Vertov die Bewegungen einer Gro?stadt und ihres Alltags – vom Erwachen der ersten Bewohner über die Arbeit bis hin zu ihren Besch?ftigungen nach Feierabend. In dem US-amerikanischen Spielfilm Dressed to Kill (USA 1980) vermisst das Sounddesign die akustische Atmosph?re eines Museumsraumes. Den harten Alltag von Hochseefischern vor der Küste Neu Englands portr?tiert die Kamera der Anthropologen und Filmemacher Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel im experimentellen Dokumentarfilm Leviathan (USA/F/GB 2012), w?hrend sich Der Perlmuttknopf (F/CHI/E 2015) mit den dunklen Kapiteln der Diktatur in Chile befasst.

Die wissenschaftlichen Schwerpunkte der Tagung werden von drei Hauptvortr?gen und vier Foren gesetzt. In ihnen loten internationale Vertreter der Film- und Medienwissenschaft, aber auch der Philosophie, Geschichte und Ethnologie aus, wie mit Film forschend gearbeitet wird und wurde.

Zu den Referent*innen z?hlen:

   | die Historikerin Sylvie Lindeperg (Paris), die die Verbindung zwischen Kino, Erinnerung und Geschichte anhand von Memories of the Eichmann Trial (ISR 1979) erforscht

   | der visuelle Anthropologe Paolo Favero (Antwerpen), der zeitgen?ssische Entstehungsprozesse von Bildern in Indien untersucht, die einen Gegenentwurf zum Ansatz von Robert Gardners Film Forest of Bliss (USA 1986) bilden

   | die Filmwissenschaftlerin Catherine Russell (Montreal), die sich am Beispiel von Los Angeles Plays Itself (USA 2003) mit Fragen vom Film als Archiv auseinandersetzt.

Des Weiteren diskutieren Wissenschaftler*innen in vier Foren, welche Methoden zur Erforschung von Produktion, Geschichte, Orten und Naturwissenschaften Filme entwickeln k?nnen. Drei Wissenschaftler*innen stellen die im Kontext ihrer Forschung entstandenen Filme zur Diskussion. Der ?sterreichische Filmemacher Michael Palm (Wien) pr?sentiert seinen neuen Film Cinema Futures (A 2016), der die Zukunft von Film und Kino im Zeitalter digitaler Techniken erkundet.

Paolo Favero
Paolo Favero
Catherine Russell
Catherine Russell
Sylvie Lindeperg
Sylvie Lindeperg