Von Sappho bis Sido - Der Sprechgesang in musikp?dagogischer Perspektive.
Sprechgesang und Musikp?dagogik – das klingt zun?chst nach Rap. Tats?chlich ist der Rap - seitdem sein popkulturelle Siegeszug in den 1990er-Jahren begann - mittlerweile fest in der musikp?dagogischen Welt verankert: als Zugang zur Lebenswelt von Schüler:innen, als niedrigschwellige Form des Musizierens und als Medium für politische Botschaften etwa bei Schulaufführungen. Trotz ?sthetischer oder moralischer Kritik ist sein p?dagogisches Potenzial l?ngst anerkannt. Rhythmisiert und gereimt eignet sich Rap als wirkungsvolle Ged?chtnisstütze und gelangt sogar f?cherübergreifend zum Einsatz.Doch wie neu ist dieses Ph?nomen wirklich?
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Sprechgesang ist uralt und zieht sich wie ein roter Faden durch die Kulturgeschichte. Er ist anzutreffen bei griechischen Dichter-S?ngern, bei liturgischen Vortr?gen aller Weltreligionen, bei epischen Minnes?ngern, in Chantie-Ch?ren, dem 'talking' Blues, dem Chanson usw. In der abendl?ndischen Kunstmusik tritt er in verschiedenen Erscheinungsformen (z.B. Monodie, Rezitativ, Melodram, Sch?nbergs Sprechgesang etc.) in Erscheinung. Selbst in melodischer Theaterdeklamation, Werbe-Slogans, kindlichem Sing-Sang oder einfachen Reimen ("Ene, mene, miste") lassen sich Elemente des Sprechgesangs finden.
Interessanterweise scheint der Sprechgesang stets mit p?dagogischen Implikationen einher zu gehen. In der griechisch-r?mischen Antike dienten sprechgesungene Epen und Lieder der sittlich-moralischen Erziehung und der Memorierung von Mythen und Gesetzen. Diese Tradition reicht bis zu den ersten Hochkulturen. Im alten Israel wurde die Thora mittels einer bis heute praktizierten Sprech-Sing-Methode gelehrt. Daran schlie?t das frühe Mittelalter mit seinen gregorianischen Chor?len an. Weitere Beispiele reichen von den Schuldramen der Jesuiten in der frühen Neuzeit, den instrumentalp?dagogischen Bemühungen um den Bayreuther Sprechgesang, bis hin zu Sprechch?ren als didaktisches Hilfsmittel oder dem Rap im heutigen Klassenmusizieren.
Trotz dieser Tradition ist der Sprechgesang in der Musikp?dagogik bislang kaum erforscht. Historische Studien fehlen ebenso wie Eintr?ge in musikp?dagogischen Nachschlagewerken. Auch die Musikwissenschaft hat sich nur am Rande zum dem Themengebiet ge?u?ert - eine grundlegende Kulturgeschichte des Sprechgesangs steht weiterhin aus. Auf dieses zweifache Desiderat m?chte das Dissertationsvorhaben nun reagieren. In einer historischen Studie soll die p?dagogische Relevanz des Sprechgesangs von der Antike bis zur Gegenwart – von Sappho bis Sido - untersucht werden. Ziel ist es, den Sprechgesang als musikp?dagogisches Bildungsmedium in seiner historischen Entwicklung sichtbar zu machen, seine Funktionen systematisch herauszuarbeiten und daraus Impulse für den aktuellen Fachdiskurs zu gewinnen. Die musikp?dagogische Perspektive kann dabei als erster Versuch einer kulturgeschichtlichen Systematisierung dienen.
Die Arbeit wird betreut von Prof. Dr. Alexander J. Cvetko.
Alexander Stukenbrok ist seit Januar 2025 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musikwissenschaft und Musikp?dagogik der Universit?t Bremen.