Grenzen erfahren – verschieben – überschreiten – ... : Zur Dynamik von Mehrsprachigkeit im Spannungsfeld von Identit?t, Zeit und Raum

Ringvorlesung im Wintersemester 2025/2026

Die Ringvorlesung widmet sich der komplexen Dynamik von Mehrsprachigkeit in einer zunehmend globalisierten und mobilisierten Welt. Im Fokus stehen Fragen danach, wie sprachliche Grenzen erlebt, verhandelt und überschritten werden – individuell wie gesellschaftlich. Aus unterschiedlichen Perspektiven der (Angewandten) Sprachwissenschaften beleuchten die eingeladenen Expert*innen das Zusammenspiel von Sprache(n), Identit?t, Zeit und Raum: Wie pr?gt Mehrsprachigkeit biografische Entwicklungen? Welche Rolle spielen soziale, politische und geografische Kontexte? Und wie ver?ndern sich (sprachliche) Praktiken und Sprachgrenzen unter den Bedingungen von Migration, Digitalisierung oder Bildungspolitik u.a.? Die Vortr?ge bieten vielf?ltige Einblicke in aktuelle Forschungsans?tze und er?ffnen Raum für interdisziplin?ren Austausch.

Die Vortr?ge finden jeweils dienstags von 18:15 bis 19:45 Uhr in MZH 1460 statt. Eine hybride Teilnahme über Zoom ist über den folgenden Link m?glich: https://uni-bremen.zoom-x.de/j/61834203962?pwd=pwcfcBZslx3TjRPbjWJxJObG9cp01Z.1 (ID: 618 3420 3962, Kennwort: 916342)

Mehr zum Themenjahr Mehrsprachigkeit  finden Sie auf der Website des Fachbereich 10. 

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Der Vortrag versteht sich als eine postkoloniale Reflexion zur Kolonialit?t der Mehrsprachigkeit. Er führt in Reflexionen über Dekolonisierungsm?glichkeiten der Mehrsprachigkeitspraxis in deutschen Schulen. Am Beispiel einer Ewe-Grammatik (1907) des Missionars und Afrikanisten Diedrich Westermann werden drei Ziele erreicht:

  • Viele afrikanische Muttersprachen z.B. die Ewe-Sprache wurden von den deutschen Missionaren verschriftlicht und somit in die europ?ische Moderne eingeführt. Sie geh?ren deshalb zum deutschen Kolonialerben, verdienen eine Rücksichtnahme in den Methodentheorien der Mehrsprachigkeitspraxis.
  • Sie gelten als kolonialhistorisches Sprachwissen, Ressourcen für die Mehrsprachigkeitspolitik, denn der afrikanische Deutschlernende bringt sie mit sich in die Schulklassen.
  • Der Vortrag schl?gt auch vor, wie diese Ressourcen postkolonial aktiviiert werden k?nnten und wie davon rassismuskritisch bei der Deutschvermittlung Gebrauch gemacht werden kann.

Ohiniko M. Toffa ist promovierter Kulturwissenschaftler mit Forschungsgebiet der deutschen Kolonial- und Missionsgeschichte in Togo. Er promovierte an der Uni Bremen (2016-2019) dank eines DAAD-Stipendiums mit einer Arbeit zur Missionskonzeption des Inspektors Franz Michael Zahn (1862-1900). Zurzeit ist er am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin als Provenienzforscher besch?ftigt. Vor der Reise nach Deutschland zum Promotionszweck war er verbeamteter Deutschlehrer in Togo.

Niederdeutsch als bedrohte Sprache verschwindet aus immer 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 Bereichen des Alltags – eine Dom?nenerweiterung, die darauf abzielt, es aus dem Bereich der Nahsprache auch in andere Kontexte wie Wissenschaft, Politik, Verwaltung oder Gesellschaft zu tragen, stellt auch gewisse Anforderungen an die Sprache: Ist der Wortschatz des Deutschen stets auch mit den neuen Errungenschaften aus Wissenschaft und co. gewachsen, ist das Niederdeutsche in dieser Hinsicht nur dünner und ?rmer geworden. W?hrend also neue Begriffe wie ?Ereignishorizont‘ oder ?Schienenersatzverkehr‘1 in der Realit?t so auch im Niederdeutschen benutzt würden (keine niederdeutsche Physikerin und kein niederdeutscher Physiker hat dafür bisher einen Begriff gemünzt und der ?ffentlichkeit vermittelt), verschwinden auch allt?glichere niederdeutsche W?rter im Wortschatz der meisten jungen Sprecher:innen, die keinem niederdeutschen Umfeld 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育 ausgesetzt sind und daher etwaige Lücken durch deutsches Sprachmaterial füllen. Im Zuge der gegenw?rtigen Bestrebungen eines Sprachplans für Niederdeutsch zur gezielten F?rderung der Sprache werden auch konkrete Ma?nahmen des Sprachausbaus erkundet und erprobt. So versucht zum Beispiel die SASS- Redaktion das niederdeutsche W?rterbuch nach SASS durch Begriffe und Formen zu erweitern, die bisher noch nicht ihren Weg in niederdeutscher Form Eingang in die Sprache gefunden haben.


Der Vortrag beleuchtet die Dynamik dieses niederdeutschen Sprachausbaus im Spannungsfeld von r?umlichen, zeitlichen, sozialen und ideologischen Grenzen. W?hrend sich der Ausbau nationaler Standardsprachen oft auf klar umrissene Variet?ten und institutionalisierte Normierungsprozesse stützt, bewegt sich der Ausbau des Niederdeutschen
in einem vielschichtigen Gefüge aus Dialektvielfalt, Sprachwandel und gesellschaftlicher Akzeptanz. Anhand konkreter Beispiele aus der Arbeit der SASS-Redaktion wird gezeigt, wie lexikalischer Sprachausbau und Standardisierung praktisch umgesetzt werden und an welchen Grenzen sie auf Widerst?nde oder neue Chancen sto?en: zwischen Purismus und ?ffnung, zwischen lokalem Identit?tsgefühl und überregionaler Verst?ndlichkeit, zwischen ideologischen Lagern eines Für und Widers von Standardisierung, zwischen der Sprache ?lterer Generationen und der Sprachpraxis
sogenannter New Speakers. Diese ?Grenzerfahrungen“ sollen sichtbar machen, dass Sprachausbau nicht nur ein technischer Prozess der Standardisierung ist sondern ein fortlaufendes Aushandeln sprachlicher und gesellschaftlicher Diversit?t.


Kevin Behrens ist wissenschaftlicher Angestellter am Malta-Zentrum am Fachbereich 10 der Universit?t Bremen und Executive Editor des Wissenschaftsjournals STUF/Language Typology and Universals. Er ist zudem Mitarbeiter am Niederdeutschsekretariat und Vertreter für junge Leute im Bundesrat für Niederdeutsch. Er ist Mitglied der SASS-Redaktion, die das gr??te niederdeutsche W?rterbuch nach SASS herausgibt und sich stark für Sprachausbau und Standardisierung einsetzt. An der VHS Bremen gibt er seit über 12 Jahren Niederdeutschkurse.

Sie haben die ausgebauten Formen ?Begeevniskimm“ und ?Togbusverkehr“

Im Vortrag wird, basierend auf den bisherigen Erkenntnissen aus der KIKo-Prim-Studie (“KI-Kompetenzen in der Primarstufe f?rdern”, verortet im FuN-Kolleg ,Heterogenit?t gestalten – starke Grundschulen entwickeln’), der Themenkomplex des KI-Einsatzes im 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigkeitssensiblen Mathematikunterricht der Grundschule fokussiert, indem einerseits Einblicke in die Nutzung von verschiedenen KI-Systemen (mit Schwerpunkt auf ChatGPT und Anthropic) gegeben und andererseits zwei zentrale Einsatzszenarien vorgestellt werden: KI-Nutzung von Grundschullernenden im Rahmen von 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigen mathematikbezogenen Interaktionen sowie die Nutzung von KI durch Grundschullehrkr?fte bei der Entwicklung von komplexen 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigen mathematischen Aufgaben. Zentrale Erkenntnisse aus den bisherigen Analysen sind, dass der Einsatz von KI-Systemen als Unterstützungssysteme in 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigkeitssensiblen Kontexten gelingen kann, wenn a) neben fachlichen Kompetenzen auch Promptingkompetenzen von Lernenden/ Lehrenden (mit-)gef?rdert werden – als Teil von Lehr-Lernumgebungen (z. B. durch die Reflexion der Güte der KI-Antworten und die didaktisch reduzierte F?rderung von Prompt-Engineering Techniken) – und b) KI-Systeme wiederkehrend genutzt werden (z. B. für adaptives Feedback und als Unterstützungsassistent bei 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigen Begriffsbildungsprozessen).


Dr. Taha Ertu?rul Kuzu ist Tenure-Track-Professor für ?Heterogenit?t in der Grundschule“ an der P?dagogische Hochschule Schw?bisch Gmünd. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Lernprozessforschung mit Fokus auf mathematische, sprachliche und digitalit?tsbezogene Lehr-Lernprozesse in Grundschulen, Mehrsprachigkeitsforschung sowie Professionalisierungsforschung zur Sensibilisierung von Grundschullehrkr?ften für Heterogenit?t und Digitalit?t.

Prof. Dr. phil. Alena Witzlack-Makarevich ist Professorin für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft am Universit?t Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen typologische Variation grammatischer Relationen, Sprach- und Dokumentationsforschung zu afrikanischen Sprachen (z. B. Bantu, Khoisan) sowie digitale Datenbanken zu Sprachtypologie.

In politischen Debatten über Flucht und Migration spielt ?Sprache‘ vielfach eine zentrale Rolle. Dabei ist aus Sicht einer kritischen Mehrsprachigkeitsforschung gar nicht so klar, was ?Sprache‘ nun überhaupt hei?t: Einerseits sind damit h?ufig einfach ?Deutschkenntnisse‘ gemeint (eine Verengung und ?berdeterminierung, wenn auch, bei n?herem Hinsehen, nicht wirklich klarer), andererseits die unspezifische Anderssprachigkeit des geflüchteten Anderen, die nicht selten Raum für Stellvertreterdebatten (etwa um ?Integration‘) gibt. In dieser Vorlesungseinheit folgen wir einer anderen, Repertoire-basierten Perspektive: Der Begriff des sprachlichen Repertoires beschreibt die komplexen sprachlichen Ressourcen eines Individuums, die sich im Laufe eines Lebens dynamisch ver?ndern, sozial geformt und mit emotionalem Erleben verknüpft werden. Wenn 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachige Repertoires auf einsprachige Institutionen treffen, dann hat das handfeste Folgen, die wir anhand von Fallstudien aus zwei Bereichen, Sprachmittlung in der Flüchtlingshilfe und Sprachanalysen im Asylverfahren, exemplarisch besprechen werden. In beiden F?llen geht es um den Wert (oder besser: die Bewertung) von sprachlichen Repertoires und um die Regulierung des Zugangs zu Asyl, Bleiberecht und Zugeh?rigkeit.


Dr. Jonas Hassemer ist Universit?tsassistent (Postdoc) am Institut für Sprachwissenschaft der Universit?t Wien und forscht in den Bereichen Soziolinguistik, kritische Mehrsprachigkeitsforschung, Sprache & Arbeit, Sprach- und Kommunikationsideologien sowie Migration und Displacement.

Im Beitrag wird anhand semi-strukturierter qualitativer Interviews mit Personen mit Fluchterfahrungen dem Spannungsverh?ltnis zwischen Raum, Zeit und Community als Koordinaten für die (Neu)-Kalibrierung von Spracheinstellungen, sprachlichen Praktiken und Entscheidungen nachgegangen. Unter Berücksichtigung rekonstruierter historischer, gegenw?rtiger und imaginierter sozial-politischer R?ume werden M?glichkeiten und Grenzen des ?Dislocating Contemporary Multilingualisms“ (Selimovi? 2023) ausgelotet.


Dr. Lesya Skintey ist Assistenzprofessorin mit Schwerpunkt ?Zweitspracherwerb Deutsch in 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachigen Kontexten im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ am Institut für Germanistik der Universit?t Innsbruck. Ihre Forschung fokussiert u. a. auf Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik sowie bildungs- und sprachwissenschaftliche Prozesse in Flucht- und Migrationskontexten.

Selimovi?, E. (2023). Balkan, Creole, Other: Dislocating Contemporary Multilingualisms. Journal of Literary Multilingualism, 1(1), 73-93. https://doi.org/10.1163/2667324x-20230106

Jugendliche mit Migrationserfahrungen, die über Kompetenzen verfügen, die in Herkunftsunterrichtssprachen angeeignet wurden, erfahren im Aufnahmeland oft Begrenzungen durch fachliche Unterforderung und sprachliche ?berforderung. Im Vortrag soll das didaktische Modell RAuM (Ressourcenorientierter Anschlussunterricht für unbegleitete jugendliche Migrant*innen mit Fluchterfahrung) vorgestellt werden, in dem Diskursf?higkeit im Fachunterricht und ein multidirektionaler Transfer von Kenntnissen verfolgt wird. Der Fokus des Beitrags liegt auf den Gelingensbedingungen für diesen Ansatz.


Katja Baginski ist Lehrerin für ?Deutsch als Fremdsprache“ und ?Arbeitslehre“, p?dagogische Leiterin der Lehr-Lern-Werkstatt ?FachSpracheMigration“ am Universit?t Bremen im Arbeitsbereich ?Bildung in der Migrationsgesellschaft/Interkulturelle Bildung“. Ihr Schwerpunkt liegt in der Begleitung von F?rderlehrkr?ften sowie in der Entwicklung von Unterrichtskonzepten und Materialien für 澳门皇冠_皇冠足球比分-劲爆体育sprachige Lernende.

Es scheint keine gute Zeit zu sein für detailgetreue wissenschaftliche Befunde zu Potenzialen und Ressourcen der Mehrsprachigkeit. Viel eher wird laut das Bedrohliche an der Migration und der Mehrsprachigkeit beschworen, und das, obwohl eine breite ?ffentlichkeit sich nach Lichtblicken, nach L?sungen geradezu zu sehnen scheint (Karakayal? & Mecheril 2018). Ich nehme das zum Anlass, um aus verschiedenen Forschungsprojekten zu berichten, ob es denn Entwicklungen gibt, die uns hoffnungsvoll stimmen und Handlungsmacht signalisieren k?nnen – darunter u.a. eine Kooperation mit der Holocaust-Gedenkst?tte Bergen-Belsen (Ferman & Brizi?, in Vorber.), eine Studie an Schulen in Wien (Brizi? 2022, Brizi? et al. 2021), oder auch ein humanit?res Aufnahmeprogramm für Ezid*innen in Brandenburg (Brizi?, K. & Konopatsch, erscheint 2025).


Prof. Dr. Katharina Brizi? ist Professorin für Mehrsprachigkeitsforschung an der Albert?Ludwigs?Universit?t Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Mehrsprachigkeit, Flucht und Migration, soziale Ungleichheit sowie Bildung, Diversit?t und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

 

Brizi?, K. 2022. Der Klang der Ungleichheit. Biografie, Bildung und Zusammenhalt in der vielsprachigen Gesellschaft. Münster. https://doi.org/10.31244/9783830995944
Brizi?, K. & Konopatsch, I. (erscheint 2025). Now the Time has Come. Female ?z?d? Survivors’ Voices of Trauma and Home. Kurdish Studies Journal 3(2), 1–24. https://doi.org/10.1163/29502292-bja10013
Brizi?, Katharina / ?im?ek, Yazgül / Bulut, Necle. 2021. Ah, our village was beautiful. Towards a Critical Social Linguistics in times of migration and war. The Mouth – Critical Journal of Language, Culture and Society 8, S. 29–63. Open Access: https://journals.ub.uni-koeln.de/index.php/the_mouth/issue/view/394
Ferman, L. & Brizi?, K., in Vorber. Multilingual Memory. Participant observation of survivor-student encounters in German schools.
Karakayal?, J. & Mecheril, P. 2018. Umk?mpfte Krisen: Migrationsregime als Analyseperspektive migrationsgesellschaftlicher Gegenwart, in: Foroutan, N., Karakayal?, J. & Spielhaus, R. (Hg.), Postmigrantische Perspektiven: Ordnungssysteme, Repr?sentationen, Kritik. Campus, 225–237.